Eine kleine Gemeinschaft, die sich flüchtig kennt, sitzt zusammen und unterhält sich über das Leben in Zeiten von Corona und über das Coming-out. Unter ihnen eine Transfrau. Und plötzlich die Frage an sie:
„Wie ist das nun mit dem Sex bei dir?Bist du operiert?“
„Geht dich nichts an, oder suchst du Sex?
… und ob ich eine geschlechtsangleichende Operation gemacht oder noch vorhabe, hat dich schon mal gar nicht zu interessieren! Ist das angekommen?“
Interesse, Neugier oder einfach nur “voll daneben”?
Um die Frage im obigen Beispiel beantworten zu können, müsste der/die Fragesteller:in auch über das Sexualleben aus einer anderen Zeit Bescheid wissen, denn über den Gesundheitszustand des sich im Schritt befindlichen Geschlechtsteil will bestimmt niemand was zur Kuchenzeit wissen. Sonst würde es auch keinen Sinn ergeben. Es sei denn, man bedient sich der Schubladen.
Das bedeutet, ein Mann, der zur Frau wird, hatte vorher mit einer Frau Sex – geht ja nicht anders, auch im Regenbogencafé. Nun die Annahme, Mann ist nun Frau, müsste nach Adam Riese der Schwenk zum Mann kommen. Ist dem so? In der Ärzteschaft begegnet mir das häufiger, vor allem in der Urologie und im Endokrinologikum.
Woher wollen die Ärzte (MZ) wissen, was vorher war, wenn nicht darüber geredet wurde? Und woher wollen sie wissen, was im JETZT ist? Ich hatte diesbezüglich eine kleine Diskussion in der Urologie. Die Grundsatzfrage: Plane ich eine GaOP, damit ich Sex mit einem Mann haben kann, die Konstellation Frau ↔ Mann seine Bestimmung findet?
In Nordhessen, bei einer Transberater:in lief das in eine andere Richtung.
Vor der angedachten GaOP meinte sie auf meinen Schritt deutend:
„Du weißt, dass sich für dich nichts ändert?“

Schubladen aus einer anderen Zeit
Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir in einer Teamsitzung der Trans*Berater:innen einen Fall vorliegen, in dem die Kollegin am Ende anmerkte“ … „Sie hat aber ein super Passing.“
Aber hallo? Welche Schublade machen wir dann jetzt auf?
Wenn jetzt außerhalb der queeren Community dieser Satz fällt, ist das was völlig anderes, als wenn dieser unter Berater:innen fällt. Ich kann dann nicht die Füße still halten, muss mich zu Wort melden. Wieso nehmen wir die Mechanismen der heteronormativen Wertewelt, gesteuert von maskulinen Individuen, und legen sie als Maßstab an unseren Schützlingen an? Wieder die Frage, auf die es keine allgemeine Antwort gibt:
Wie viel Mann nimmt Transfrau in die Welt der Frau mit?
Was wiederum die an mich gestellte Frage erklärt:
„Willst du dir nicht mal die Haare lang wachsen lassen?“
Natürlich unterhalten wir uns auch über Sex, die Folgen einer OP mit einhergehender Problematik, über die in Trans*kreisen selten bis gar nicht geredet wird (alles eitler Sonnenschein), und die doch stattfindenden Änderungen, die im neuen Leben nicht ohne sind. Es sind mehr erörternde Fallbesprechungen/persönliche Geschichten, und wenn der Sex gereicht wird, dann ist das zu 99% eine Sache der Freiwilligkeit. Ich würde von mir aus nie aus dem Nichts heraus einen Menschen fragen, welches Label ihm anheftet, welcher Sex bei ihm/ihr im Mittelpunkt steht.
Hin und wieder stellt sich jemand wie folgenden Worten vor:
Ich bin (Name) und asexuell … (polysexuell/lesbisch/schwul/)“
Asexuell? Na und?
Was soll ich damit anfangen? Bin ich eine Sexualtherapeutin oder warum bekomme ich dieses Label unter die Nase gehalten? Sucht da wer Sex, will Spaß haben? Und warum dann nicht der Hinweis außerhalb der queeren Community, die Frage nach dem Sex beim Kaffeekränzchen im Ministerium für Vielfalt? Gehört sich nicht, ich weiß…
Kürzlich erfolgte deswegen eine Grundsatzdiskussion im queeren Umfeld, weswegen ich auf eine andere Strategie umgestiegen bin – denn es nervt nur noch: “Sex spielt keine Rolle.”
Die stößt aber hier und da auf Unverständnis, kann nicht nachvollzogen werden. Obwohl, es ist schon erfreulich, wenn man nicht als schwul den Stempel abbekommt. Dennoch folgt erläuternd mein Hinweis:
„Tendenziell schaue ich zu 99% den Frauen nach (schon wegen der Mode). Außerdem bin ich schon vergeben, habe trotzdem viele Östrogene zu verschenken und bin nicht asexuell.“
Da verstummt die Gemeinde, denn jetzt wird es kompliziert.
Merke: Nichts ist so wie es scheint.
PS: Erspart einfach eurem Gegenüber die Frage nach seinem/ihrem Sexleben/Sexlabel oder akzeptiert zumindest eine ablehnende Antwort und bohrt nicht weiter nach. Vielleicht erzählt er/sie/es … mal darüber oder ihr hört es aus einem Gespräch heraus, wenn ihr aufmerksam seid und zuhört.
Comments are closed.