Vorab eine Bitte: Bitte streicht das gängige Wort „Phobie“, besonders im Zusammenhang mit »Transgender Day of Remembrance« aus Eurem Sprachschatz. Eine ausgewachsene Transfeindlichkeit ist keine Phobie. Das betrifft auch „Homophobie“. Die Beigabe Phobie verharmlost die Taten und stellte die Täter unter einen „sie können doch nichts dafür“-Schutzschirm. Auch eine von Gott beauftragte Gewalttat, hat nichts mit einer in den Genen verankerte Urangst, einer Phobie, zu tun.
Dieses Jahr haben wir wieder einen besonders traurigen Anlass in Stille der Opfer am Tag von »Transgender Day of Remembrance« (TDoR) / »Gedenktag der Opfer von Transfeindlichkeit« (jährlich am 20. November) zu begehen.
Der September in Trauer
Ella war aus dem Iran geflüchtet, hat viel Leid durchgestanden und freute sich auf ihr neues Leben.
Viele fragen sich, wie das passieren konnte, denn es passierte hier in Deutschland, in Berlin, unter einem Grundgesetz, das Schutz und Anerkennung nicht nur für Geflüchtete verspricht, auch für Minderheiten. Und Ella hätte den besonderen Schutz unserer Gemeinschaft bedurft. Und nicht nur Ella hätte ihn bedurft, viele andere brauchen ihn auch heute.
Ein queerfeindlicher Mensch hatte mehrere Teilnehmer:innen während des CSD in Münster beschimpft und bedroht. Transmann Malte bat diesen dies doch zu unterlassen. Daraufhin hatte dieser Malte mit einer Faust ins Gesicht geschlagen. Der Schlag war so heftig, dass Malte das Gleichgewicht verlor und mit dem Hinterkopf auf den Boden schlug. Mit schweren Hirnblutungen wurde Malte ins Krankenhaus eingeliefert, wo er ins künstliche Koma gelegt wurde. Am 02. September verließ uns Malte.

Aufruf nicht nur gegen Transfeindlichkeit
Viel Hass, nebst Hohn gepaart mit Spott, schlägt den beiden Trans*Abgeordneten des neuen Bundestages in den “sozialen” Netzwerken entgegen, angefacht von Terfs und Mitläufer:innen der feministische Kampfbrigaden, die Transfrauen als verkappte Männer bezeichnen, die ihre Schutzräume kapern wollen und höhnisch begleitet von braunem Gesocks in den gesetzgebenden Organen der Bundesrepublik. Dieser Hass gehört leider zu einer inzwischen verbreiteten menschenverachtenden “Leitkultur”.
Die asozialen Netzwerke, sozial ist was anderes, allen voran Facebook (Meta) und Twitter, sind der Nährboden dieses Hasses. Und jede:r der/die der These verfällt, “wir erreichen sonst niemanden”, beteiligt sich daran, ist ein Teil des mörderischen Sumpfes. Um jenes Argument aufzugreifen: Dann könnt ihr auch der AfD beitreten…
… denn es gibt auch jene in der AfD, nicht nur im Main-Kinzig-Kreis, die haben “Schwarz-braun ist die Haselnuss”, das Naziliedgut, auf den Lippen, die Regenbogenflagge über sich wehend (siehe neue progressive Gayflag) und zeigen sich in bester Laune.
Das erzählt mehr als einige hören bzw. es wahrhaben wollen. Und eine:r ist nie allein.
Lippenbekenntnisse zur Vielfalt
Wir haben massive körperliche Gewalt gegen Trans*menschen in Frankfurt erlebt, abwertende und feindliche Anmerkungen in Hanau – trotz vieler „für Vielfalt offen“-Schilder – nebst Zerstörung der Plakate. Wir erleben Diskriminierungen und übelstes Mobbing in der eigenen Community, den Suizid eines Menschen, der mit viel Hoffnung zu uns kam und den Totschlag an Malte, der für seine und anderer Grundrechte eintrat.
Das sind keine Warnsignale, das ist bittere Lebensrealtität. Auch die queere Community hat den Ernst der Lage von Menschen, die einen Platz in dieser Gesellschaft suchen, offenbar noch nicht wirklich erfasst. Sie, die Community mit ihren Lippenbekenntnissen, ist ein Teil des Seelenschmerzes, an deren Ende der Suizid stehen kann.
Ich hoffe für uns alle, dass wir als Gemeinschaft endlich begreifen, wie ernst es um unsere freiheitliche Demokratie bestellt ist, und dass das, was wir glauben erreicht zu haben, in großer Gefahr ist.
Es gibt aber auch Hoffnung. Viele kämpfen, um das Erreichte zu wahren und auszubauen, denn wir wollen weiter, nach vorne, mit jenen gleichziehen, die ein Leben leben können, ohne Angst – ohne Diskriminierung und mit viel Zukunft im Morgenrot – wie Menschen in Malta.
Und das erfordert sehr viel Kraft, Engagement und ein nicht Wegsehen.
Danke fürs vorbeischauen und gehen wir heute ein wenig langsamer als sonst, verweilen bei jenen, die nicht mehr unter uns weilen oder Seelennarben des Lebens davongetragen haben (sinngemäß).
Anika
(aktualisiert 20.11.22 / Gedanken dazu können bis 01.12. im Kontakthof hinterlassen werden. Ich pflege sie dann ein. Bitte Netiquette beachten. thx)
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